In 8 Tagen um die Welt.


Die Bilanz

Wieder daheim! Einmal rum, 39.800 km – 7 Legs – 142,5 Stunden (5 Tage, 22 Stunden und 29 Minuten), davon 51,5 Stunden in der Luft. (Es zählt, nach Vorlage, Abfahrt des ersten Verkehrsmittels am Ausgangsort (Anfahrt bis dorthin unberücksichtigt), hier: Abflug HAM Sa. 16.4. 09:10 UTC, bis zum Wiedereintreffen im Herrenclub, lassen wir das hier mal mein Wohnzimmer sein, also Fr. 22.4. 07:39:02 UTC.)

Dabei bleibt anzumerken, daß die 142,5 Stunden durch 24 geteilt zwar knapp sechs Kalendertage ausmachen, wegen der Reiserichtung westwärts vor der Sonne her (unten bei „Das Vorbild“ hatte ich dazu schon räsoniert) aber nur fünf Sonnentage! Für den Rest meiner Zeit (oder bis ich einmal ostwärts die Erde umkreise) werde ich also einen Tag jünger sein, als alle hiergebliebenen! Wie ich merke ist dies auch genau der Grund, warum ich – obwohl ich schnell wieder im hiesigen Wachrhythmus angekommen bin – ohne Ende schlafen könnte. In sechs Tagen fünfmal Sonnenaufgang und fünfmal Sonnenuntergang, irgendwie surreal.

Die Acht Tage sind damit locker unterboten, aber nachdem ich an zwei Stellen abkürzen mußte und die Route der geplanten nicht ganz entsprach, stellt sich natürlich die Frage, ob man das so werten darf. Aber auch Phileas Fogg hat keinen Großkreis gemacht, ist sogar nur auf der nördlichen Halbkugel geblieben und von dem zwingenden Bestandteil, jeden der fünf Kontinente zu betreten, ist bei ihm ebenfalls nirgends die Rede! Nach den Kategorien des Vorbilds zu urteilen also ein Erfolg. Nach den eigenen? Was habe ich in Summe betrachtet in diesen knapp sechs Tagen eigentlich gemacht?
  • sieben Flüge mitgemacht
  • sieben Flughäfen gesehen
  • einmal in einem Hotel übernachtet
  • dreimal geduscht
  • viermal außerhalb eines Flugzeugs gegessen
  • in Montreal viel Spaß gehabt
  • in Sydney die Stadt besichtigt
  • in Singapur 20 Minuten Hochhäuser gesehen

  • Ansonsten hat mich diese Reise, ganz ehrlich gesagt, schon an meine Grenzen gebracht:
    Körperlicherseits der massive Schlafentzug, die Auslöschung des Tag-Nacht-Rhythmus und dadurch bedingt auch noch kaum Nahrungsaufnahme (und wenn, dann auch noch in Flugzeug-Qualität). Seelischerseits das ständige Bangen, was aus einem wird, wo man hinkommt oder auch nicht, und vor allem das Fehlen eines auch nur provisorischen Anlaufpunktes; nur einmal hatte ich ein Hotelzimmer in das ich zurückkehren konnte und für 24 Stunden „meinen Platz“ hatte.

    Aber damit war es genau der Selbstversuch als der es ja (auch) konzipiert war – eine krasse Erfahrung! Ich bin zufrieden, mehr kann ich kaum resümieren – der Leser fälle sein eigenes Urteil…

    „Ja und? Was hatte er durch diese Reise gewonnen? Was hatte er mitgebracht? ‚Nichts‘, lautet die Antwort? Dann also nichts, außer[…] Und seien wir ehrlich: Würde man sie nicht schon für weniger wagen, die Reise um die Welt?“





    Die Idee

    Hamburg–München–Montreal–Los Angeles–Honolulu–Sydney–Singapur–Dubai–Kairo–Frankfurt–Hamburg heißt der Weg, 40.019 km, das ist auf 0,03% die Großkreisstrecke, 8 Tage Zeit dafür, Start am Samstag, 16.4.... nach Plan...

    An anderer Stelle wurde mein Stellenwechsel, bzw. mein Verlassen der alten Stelle zum 15.4. und mein Eintreten in die neue Tätigkeit zum 25.4. bereits thematisiert, die dazwischen liegende Zeit verlangt nach Ausfüllung und was käme der landläufigen Interpretation des Begriffs „Urlaub“ näher als diese Zeit mit Reisen zu verbringen. Meistens begnügt man sich dabei mit einem mehr oder weniger weiten Satz über einige hundert bis tausend Kilometer, um dort dann nach einigen Tagen mehrerlei festzustellen: (a) das Leben kann sehr schön sein, wenn man nicht arbeiten muß (b) wenn dazu das Wetter auch noch besser ist als daheim, macht es die Sache nicht unangenehmer, (c) Menschen sind dann besonders nett, wenn man selbst Zeit, Ruhe und Muße hat, nett zu ihnen zu sein (wer sich Zynismus erlaubt, fügt auch noch den Begriff „Geld“ in diese Aufzählung), wenn man jedoch mehr Zeit mit dem einzelnen Exemplar verbringt, sind sie auch an jedem beliebigen anderen Ort der Welt dem sehr ähnlich, was man zuhause an ihnen mag und was nicht, (d) ist ein gut ausgebautes Nahverkehrssystem angenehm aber nicht überlebenswichtig, (e) und wichtigstens schläft man im eigenen Bett am besten und (f) und letztens sollte man sein Leben mal ganz prinzipiell und von Grund auf ändern, aber morgen ist ja schon wieder der Rückflug und am Montag schon wieder Einfahren in die Fabrik.

    40.000 km sind bekanntlich der Umfang der Erde, welche Erkenntnis würde sich also einstellen, wenn man sich der Lasten des Aufenthalts am Urlaubsorts entledigte und einfach nur reisen würde? Vermutlich keine? Mal sehen...

    Von praktischen Erwägungen abgesehen (die allfälligen Gespräche mit Sitznachbarn im Flugzeug zu Ziel und Zweck der Reise lassen sich in den zwei zeit- und nervensparenden Sätzen „Hamburg – yes, that’s where I said I was coming from“ und „being back home in time“ abhandeln, es bleibt mithin mehr Zeit für Lektüre und Essen, wovon man nie genug haben kann; man muß sich nicht langwierig in schlecht recherchierten Reiseführern zusammensuchen, was anzuschauen am jeweiligen Aufenthaltsort indispensabel ist, und schließlich läßt sich das Spesenbudget durch möglichst viele Mahlzeiten und Übernachtungen im Flugzeug locker im vierstelligen Bereich halten), ist eine solche Reise in vielerlei Hinsicht die Idealisierung, die Reinform ansonsten üblicher, aber sonst nur unvollständig und im Ansatz durchgeführter Tätigkeiten, und „l’art pour l’art“, das ist ein in diesen Zeiten, in denen auch die Nützlichkeit eines Instituts für Tibetologie wie selbstverständlich „gebenchmarkt“ wird, ein völlig vernachlässigtes Konzept.

    Und mal ganz ohne Spaß und mühsam kaschierten Größenwahn: ich habe schon immer davon geträumt, einmal nur der Sache wegen um die Erde zu reisen.

    Auch soll diese Reise in klarer Abgrenzung zu der pandemischen „Sabbatical“-/Nach-Abitur-/Aussteiger-sein-mögen-hätte-ich-schon-gewollt-aber-dürfen-habe-ich-mich-nicht-getraut-Form der Weltreise stattfinden. Abgesehen davon, daß ich ungern in kurzen Hosen und Flipflops durch die Weltgeschichte renne, soll das Ziel hier mal nicht sein, T-Shirts in möglichst vielen Hard Rock Cafés einzusammeln, um auch Jahre später noch in deutschen Fußgängerzonen vorzeigen zu können, daß man schon in Kuala Lumpur war, mit Heerscharen von deutschen, amerikanischen und chinesischen Touristen vor dem Dom von Florenz zu posieren und sich selbst für was besseres als einen Touristen zu halten, oder mit anderen selbsternannten Globetrottern in der Jugendherberge zu diskutieren, ob man die Wasserfälle von Iguazu besser von der brasilianischen oder besser von der argentinischen Seite her besucht – das Ziel ist der Weg.


    Das Vorbild

    Der aufmerksame Leser hat natürlich gemerkt, daß meine Route (s.u.) in die falsche Richtung geht! Nur bei Überschreiten der Datumsgrenze in östlicher Richtung gewinnt man einen Tag (und wie immer bekommt man nichts geschenkt, man erhält ja nur den Tag zurück, den man durch kürzere Tage auf der Reise angespart hat, unverzinst), da es sich beim Standby-Reisen aber sowieso verbietet, vorher in einem englischen Herrenclub ein Vermögen auf die Einhaltung eines verabredeten Rückkehrdatums zu wetten, nehme ich Monsieur Verne die Pointe und erlaube mir, westwärts zu reisen – es ist schlicht und einfach um ein vielfaches erträglicher.
    Phileas Fogg werde ich dennoch begegnen!


    Enfin, bon voyage.


    Die Reise

    +++ Sa. 16.4. 09:10 UTC / 11:10 LOC [Orstzeit] - Abflug HAM - Flug: LH 2065 - Flugzeug: A320 - Sitz: 2A - Klasse: C +++
    Es geht los!! Schönes Wetter über Deutschland, ansonsten das übliche.


    +++ Sa. 16.4. 10:30 UTC / 12:30 LOC - Landung MUC +++
    Warten auf die erste (und im Falle des Hängenbleibens peinlichste) Hürde: Erst mal aus Europa loskommen.


    +++ Sa. 16.4. 13:40 UTC / 15:40 LOC - Abflug MUC - LH 474 - A330-300 - 16C - C +++
    Auch eher ereignislos, aber angenehm; DEN Reiseführer weitergelesen, selbst als praktisches Handbuch (konkret: wie behalte ich den Überblick, wie lange ich eigentlich schon durch Zeit und Raum unterwegs bin) dient das knapp 140 Jahre alte Werk von Jules Verne.


    +++ Sa. 16.4. 21:55 UTC / 17:55 LOC - Landung YUL +++
    Genial! Eine ganz großartige Zeit in Montreal: Die beeindruckende Aufgeschlossenheit der Quebequois führt nicht nur dazu, daß man selbst bei nicht gerade bemüht touristischem Verhalten alle zwei Minuten ein freundliches Hilfsangebot bezüglich Wegfinden bekommt, sondern auch dazu, daß man trotz des festen Vorsatzes, früh ins Hotel zu gehen und es erstmalig seit 48 Stunden mal wieder mit Schlaf zu probieren, mit frischen Bekanntschaften durch die (eisige!) Nacht rockt bis einem auffällt, daß der Bus zum Flughafen gleich fährt und das gebuchte Hotelzimmer zu wenig mehr dient, als den Koffer dort untergestellt zu haben. Et tout ça en français.
    Wenn ich nicht um ein wirklich erhebliches mehr Glück als Verstand hätte, wäre die Reise übrigens hier schon wieder vorbei gewesen: Kollege Mühlratzer verliert im Laufe der ereignisreichen Nacht so nebenbei das Jackett, in dem außer dem Telephon doch noch irgendwas anderes wichtiges war...(?) Die 43 Tickets waren eigentlich nur durch Zufall nicht drin und das Jäckchen fand sich später samt Inhalt auch irgendwie wieder – aber Moooment, auf was für ein bordeauxfarbenes Teil steige ich beim Verlassen des Ladens eigentlich hier auf der Straße buchstäblich drauf? Mönsch, da is ja 'n goldner Bundesadler vorne drauf...
    Mich hier gleich wieder davonzumachen macht mich fast schon sentimental – aber ich bin auf Weltreise, nicht auf Stadtbesuch in Montreal!


    +++ So. 17.4. 12:30 UTC / 08:30 LOC - Abflug YUL - AC 797 - A319 - 19A - Y +++
    Das Glück bleibt mir treu und das WLAN an Bord ist der Bonus. Für einen Intra-nordamerikanischen Flug gar nicht so schlecht, Kanada – aber das habe ich in vielen angenehmen Façetten ja gestern schon kennengelernt – ist halt nicht USA. Na gut, zu essen gab's trotz der sechs Stunden in der Kiste nichts (übrigens entsprechen die 4.440 km der Strecke ziemlich genau der Reichweite der A319, Alternate und Holding sind dann wahrscheinlich schon optimistisch angesetzt), aber leidlich Platz auch in Y und alle Fluggäste in meiner Umgebung haben zur Gänze in ihren eigenen Sitz gepaßt. Trotz der Prädisposition nicht mehr als ein halbes Stündchen gedöst, hoffentlich ist das nicht langsam pathologisch. Zugegeben, einmal "hatte" ich dann "Kreislauf", aber von einer Vergnügungsreise hat auch nie jemand gesprochen.


    +++ So. 17.4. 18:15 UTC / 11:15 LOC - Landung LAX +++
    Mit Hawaii wird nix, vielleicht aber auch gut so... denn das war jetzt ein nicht soo optimal verlaufener Tag, dafür ziemlich PAD-klassich [PAD: Passenger at Discount]: seit der Ankunft um 11 (was übrigens nur noch eine Zahl ist, ich habe schon diese sekundenkurzen Schreckmomente, in denen ich mich kurz frage, wo ich eigentlich bin und welche Zeit es auch nur ungefähr sein könnte, Übermüdung) renne ich zwischen den sieben Terminals, dieses Prachtstücks us-amerikanischer Infrastrukturplanung und -unterhaltung hin und her und versuche weiterzukommen. Als sich zeigt, daß die Auslastung der Fluge nach Honolulu mit "Katastrophe" am besten beschrieben ist, und mir der dritte grenzwahnsinnige Amerikaner in einer der vielen unerträglich langen Schlangen Angst vor einem plötzlich von ihm veranstalteten Amoklauf macht, denke ich kurz an mein Bett daheim und wie schnell es von hier aus via FRA oder MUC erreichbar wäre. Kurz nur.
    Das Photo von den Wartelistenmonitoren vor den Gates sagt eigentlich alles, so etwas sieht man auch in FRA am Gate nach HAM am Freitag vor Ferienbeginn in allen Bundesländern nicht. United nach HNL ist völlig überbucht, die Warteliste umfaßt 38 Personen, ich immerhin auf Platz 36 – was bei 2 verfügbaren Platzen (woher die überhaupt, wenn sie gleichzeitig ausrufen, wer sich von den Vollzahlern für 400 USD auf den morgen Flug umbuchen läßt?) eh schon völlig wurscht ist. Also Delta, immerhin kaum eine Fußviertelstunde entfernt und halt wieder (zum dritten und nicht zum letzten Mal an diesem Tag) durch die Sicherheitskontrolle. Da können die das aber noch besser: die Warteliste wird auf drei eng beschriebenen Seiten angezeigt und verfügt über 69 Plätze, einen guten dreiundsechzigsten (und damit relativ gesehen eine Steigerung) kann ich erringen! Da wir über eine 757 mit in Summe irgendwo bei vermutlich 250 Plätzen sprechen, ist das kein ganz sicheres Pferd. Man fragt sich ja, wer sind diese Leute, woher kommen sie und warum tun sie sich das an? Außer mir sind erkennbar außer ein paar alleinreisenden tatsächlich fünf- oder siebenköpfige Familien als Standby-Reisende unterwegs – bei diesen Aussichten: Respekt. Nur aus der Besetzung des Abfluggates zu folgern scheint Hawaii doch eher das Mallorca der USA zu sein und mittels der oft gnädigen Eigenschaft des Hirns, mitunter auch das Gewünschte dem Möglichen anzupaßen anstatt andersherum, finde ich Honolulu plötzlich gar kein interessantes Ziel mehr (ehrlich gesagt spielt auch die vorher schon latente Befürchtung, daß Hawaii für mich zu einer kapitalen Sackgasse werden könnte, eine erhebliche Rolle). Das neue Pferd im Stall, das es bringen soll, heißt jetzt "Sydney direkt" und jetzt kommt das Ticketkarussell richtig in Fahrt: nochmals bei Delta (wo man mich schon kennt) eine weitere Standby-Bordkarte (die nennen das hier auch nur "Seat Request Card") für deren Flug dorthin geholt, und – nach einem angenehmen Gespräch mit dem noch morgendlich verschlafenen und inmitten der Abflughalle nicht besser verständlichen Australien, um dort noch ein Listing [Reservierung für Standby-Reisende] ("latest 24h prior to departure") für QF12 zu erhalten – bei Qantas vorgesprochen. Das Listing ist in den 30 Minuten, die ich ihm gegeben habe, indem ich von Terminal 3 nach Terminal 4 über 5 und 6 gelaufen bin (richtig, es war also nebenan) noch nicht aus Australien rübergekommen, aber als ich mir in einer richtig schwachen Minute denke, "was paßt hier eigentlich besser, als bei McDonalds die wegen heute bisher noch nicht gebotener Bordverpflegung noch ausstehende tägliche Ration synthetischen 'Nahrungsmittels' einzunehmen", da höre ich meinen Namen in bemerkenswert erkennbarer Aussprache durch das Terminal hallen – die Qantas-Kollegin freut sich richtiggehend, mich im System gefunden und – wirklich nett – zur Entgegennahme der bereits ausgedruckten Bordkarte gleich mal hergerufen zu haben. Es geht mir wieder gut.


    +++ Mo. 18.4. 05:35 UTC / So. 17.4. 22:35 LOC - Abflug LAX - QF 012 - A380-800 - 61G - Y +++
    Der sanfte Riese nimmt mich auf. In seinem gigantischen Bauch ist auch Platz für einen vom Weg abgekommenen Weltreisenden. Schade natürlich, daß es mit Hawaii nichts wird, aber es hätte viel schlimmer kommen können. Neben dem Ziel fehlt jetzt auch die allmähliche Annäherung an die Datumsgrenze. Beim Aussteigen wird es also einfach so der 19. – also zwei Tage später – sein, die langen Tage (jetzt kommt noch eine fast 15-stündige Nacht) sind also zurückzuzahlen, zusammen mit einem Vorschuß für die noch kommenden. Nicht die Idee, die Uhr auf UTC zu stellen und zu belassen, sondern überhaupt die Existenz einer solchen "koordinierten Weltzeit" war es ja, was Phileas Fogg seine Reise gegen Ende entspannt gemacht aber Jules Verne seine Pointe genommen hätte. Bei der ganzen Rumrechnerei merkt man, wie sinnvoll es ist, nicht – wie damals üblich – in jedem Ort nach der von der Rathaus- oder Kirchturmuhr verkündeten Sonnenzeit ("Ortszeit") zu stellen, sondern eine feste Referenz zu haben: und dann wird man auch diese Datumsgrenze los, die ich mir immer wieder mal nochmal aufs neue selbst erklären muß.
    Jetzt bräuchte ich nur noch einen vernünftigen Sitz, an Bord bin ich aber überrascht, wie gut man auch in der Sparklasse bedient wird, aber das liegt nicht zwingend an der Qualität des Service bei Qantas, ich bin nur einfach seit vier Jahren nicht mehr – ähem – Interkontinental in der Eco gesessen... Der Service bei Qantas ist übrigens wirklich gar nicht schlecht und lediglich davon getrübt, daß die Kabinencrew, wie bei BA, nur aus Jungs besteht; wohl das Erbe der großen Ozean-Dampfschiffahrt, die Grundform ist schließlich "der Steward", der irgendwann zusammen mit seinem Kapitän vom Seemann zum Besatzungsmitglied in der Luft-Navigation wurde. Und mit ausreichend Müdigkeit kann man sogar schlafen. Und ruck-zuck ist ein 15-Stunden-Flug vorbei.


    +++ Mo. 18.4. 20:30 UTC / Di. 19.4. 06:30 LOC - Landung SYD +++
    Ein schöner Morgen und endlich etwas Schlaf gehabt. Und dann habe ich mir etwas gegönnt: Um 6:30 Ortszeit bin ich gelandet, um 15:00, 15:30 und 16:45 hätte es Weiterflugmöglichkeiten gegeben, aber ich hatte einfach überhaupt keine Lust auf Flughafenrumhängen, Gatelungern und Flugzeughocken. Also für 32 Stunden Aufenthalt entschieden (ich hab' durch den fehlenden Stop in HNL ja auch ein Polster gewonnen) und Sydney besichtigt – und das war mehr als lohnend. Nun erzählt einem ja JEDER, daß Australien im allgemeinen und Sydney im besonderen so toll seien, ich hab' das bisher aber nicht geglaubt. Bornierte alt-europäische Kulturarroganz. Und jetzt muß ich schlicht konzedieren, daß Sydney richtig Flair hat, ein Begriff den ich nicht nur sprachlich mit einer angelsächsischen Stadt bisher nicht so oft in Verbindung gebracht habe. Huxley abgewandelt: "Reisen ist das Entdecken, daß man Unrecht hat mit dem, was man über andere Länder denkt." Wobei ich es aber immer skurril finde, wenn Leute sagen, es lohne sich unbedingt z.B. San Francisco oder Neuengland zu besuchen, weil es so "europäisch" sei. Europäisch anmutende Städte und Gegenden kann ich auch in deutlich geringerer Reiseentfernung empfehlen, z.B. in Europa. Aber ebenso wie San Francisco (Neuengland kenne ich leider noch nicht) wirklich schön ist, finde ich Sydney ganz ohne diese zweifelhafte Bezeichnung (wäre das nicht bornierte alt-europäische Kulturarroganz?) ganz toll. Und morgen kommt mehr... Nachtrag: es war dann eine Ausstellung über die Photographin Annie Leibowitz.


    +++ Mi. 20.4. 05:30 UTC / 15:30 LOC - Abflug SYD, BA 016, 777-300 - 21D - Y+ +++
    Und ein weiteres Mal erst nervöses Nägelkauen (nur im übertragenen Sinne), doppeltes Einchecken (bei QF und BA), gerunzelte Damenstirnen als Antwort auf die Frage nach den Chancen (auf einen Platz im Flugzeug!), Durchgehen von Alternativen und Optionen, Prüfen der möglichen Auswirkungen auf den Gesamtplan – und dann große Erleichterung, fast Jubel und umfassende Sympathie für die beteiligte Mannschaft und ihre Airline. "Du mußt sie erst brechen und dann wieder aufbauen, dann werden sie Dir aus der Hand fressen."
    Was ich als Feststellung aus der Beobachtung zu verallgemeinern können glaube: An Außenstationen ist das Personal einer Airline durchwegs freundlicher und hilfsbereiter zu PADs als an der Heimatbasis der jeweiligen Fluggesellschaft. Kommt wohl daher, daß Empathie für die Situation des Standby-Reisenen dann entsteht, wenn man selbst mitunter sogar darauf angewiesen ist. An der Basis sind sie die, die für billig Geld in den Urlaub wollen und einem damit noch mehr Arbeit machen als einfache Vollzahler, "draußen" sind sie die armen Kollegen, die endlich wieder heim zu Frau und Kind wollen (ich sehe mich da momentan bei keiner dieser zwei Kategorien).
    Jedenfalls wieder ein angenehmer Flug in "World Traveller Plus", also Sitze wie nach einem alten Business-Standard mit entsprechend Platz, Essen wie in Eco.


    +++ Mi. 20.4. 13:30 UTC / 21:30 LOC - Landung SIN +++
    Angefangen hat es gut, am Transfer-Desk hat man mich auf die Warteliste nach Dubai gesetzt, sieht alles gut aus, bei beiden Flügen (0:55 und 1:40 LOC); da das noch mehr als drei Stunden waren, bin ich raus und mit dem Taxi schnell in die nicht weit entfernte Stadt, dort – so ja mal Teil der Idee dieser Reise – schnell umgeschaut, ein kurzer Spaziergang und ein paar oberflächliche Photos und wieder zurück zum Flughafen. Am "Service Desk" weiter freundliches Lächeln, jaja, alles gut. Dann aber schlechte Nachrichten zum freundlichen Lächeln, leider ist der erste Flug doch komplett voll, aber auf dem nächsten, 45 min. später, alles kein Problem, nur bitte kurz platzzunehmen, Mitkommen wird aber klappen, jaja. Eine halbe Stunde später ist das freundliche Lächeln immer noch da, Platz in dem Flugzeug aber nicht mehr, ich kann mich also über das Lächeln in acht Stunden auch wieder freuen. Man kennt ja sein Schicksal schon, wenn man die (wie andere Technik aus dem Neolithikum nur in der Luftfahrt nicht auszurottenden) Nadeldrucker ihren kreischend-ratternden Gesang anstimmen hört (aha, die Passagierliste steht), aber man selbst noch nicht im Besitz einer vollwertigen Bordkarte ist.
    Gut, jetzt eine Nacht im Terminalgebäude totzuschlagen, SIN ist dafür aber, so scheint mir momentan, immerhin nicht der schlimmste Ort.
    Einige Stunden später: In der Tat nicht, äußerst beeindruckend dieser Flughafen; ausreichend Platz, Ruhe und gratos Funknetzwerk gibt es auch im öffentlichen Bereich (dafür wurde aber auch gleich der Reisepaß gescannt, garantiert wird hier mitgeschrieben, auf was für Seiten man unterwegs ist) und todschick ist auch noch alles. Wohlstand der öffentlichen Hand ist schon etwas angenehmes (Gruß an die "Mehr-Brutto-vom-Netto"-Fraktion; gut, ich weiß auch, und kann mir nach zwei sehr interessanten Taxifahrten mit jeweils einem sehr gebildeten und kritischen Fahrer auch gut vorstellen, wie das hier erkauft ist.)
    Neuer Morgen, neuer Versuch. Gut, jetzt hat auch niemand mehr gelächelt, vielleicht klappts ja dann. Dafür konnte ich einen Blick auf das feinstsäuberlich mit Hand geschriebene Crew-Briefing-Formular erhaschen – Kapazität: 8F 42C 304Y, Passagiere erwartet: 2F 42C 301Y, da würde doch was gehen!
    Und genau diese drei Plätze waren dann noch zu haben, aber nicht für mich: einen guten vierten Platz hinter einem arabischen Bruder-(/Cousins/Schwager)-Paar im schicken Kaftan und einem Mechaniker im Blaumann von Singapore Engineering (aha!) konnte ich verbuchen, leider wieder nicht aufs Treppchen. Aarg!
    Nach Verarbeitung der ersten Frustation heißt es jetzt eine Entscheidung zu treffen. Heute Abend geht gleichzeitig eine LH nach FRA und nach MUC raus, für die ich mir daheim noch schnell die Etix ausstellen ließ (Danke, Christian), das Emirates-Pärchen nach Dubai um 0:55 und 1:40 ist bekannt - davor, es hierauf wieder zu Versuchen, wird von der Emirates-Kollegin aber fast schon eine Warnung ausgesprochen.
    Es wird sich an der Situation nichts prinzipielles ändern, vielleicht gibt's morgen genug freie Plätze so daß auch ich mitkomme, vielleicht in 3 Tagen... Mit einer irgendwie greifbaren Aussicht würde ich noch einiges mitmachen, auch wenn ich merke, daß ich schon gut an meiner Grenze bin. Ein Hotelzimmer samt Bett und Dusche würde mich schon wieder um einiges zäher machen, aber es gibt einfach keine faßbare Perspektive und daher setze ich hier jetzt einen Punkt. Auch wenn ich heute abend nach FRA/MUC fliege, wird es die Weltreise gewesen sein!
    Aaaaa, LH auch völlig überbucht, es hieß ich soll den Kapitänen auflauern und selbst nach einem Jumpseat fragen...


    +++ Do. 21.4. 15:25 UTC / 23:25 LOC - Abflug SIN, LH 779, 747-400 - 50D - Y +++
    Es war dann ein ziemlich knappes aber ausreichendes Schlußstück: zusammen mit drei anderen Lufthansa-Kollegen auf Standby (gemeinsames Schicksal schweißt zusammen) die letzten Plätze in der Eco bekommen, der Kranich nimmt mich heim! Zu dem Flug ist nur zu sagen: ich weiß, warum ich diese Klasse bei der LH immer tunlichst gemieden habe – scheußlich so was...


    +++ Fr. 22.4. 03:40 UTC / 05:40 LOC - Landung FRA +++
    Von den 14 PADs hinter mir waren zwölf Kollegen in Uniform – alle stehen gelassen, hihi. R4 [höhere Standby-Priorität für Urlaubsflüge] lohnt sich manchmal.


    +++ Fr. 22.4. 05:45 UTC / 07:45 LOC - Abflug FRA, LH 004, A320 - 4A - C +++
    So schließt sich der Kreis, es endet, wie es begann: mit einem sehr guten Häppchen innerdeutsch in der C.


    +++ Fr. 22.4. 06:45 UTC / 08:45 LOC - Landung HAM +++
    DAS WAR'S! Völlig abgekämpft wieder daheim, aber glücklich und mit dem Gefühl, zwar kein Haus gebaut, kein Kind gezeugt und keinen Baum gepflanzt zu haben, aber um die Welt gereist zu sein!...




    Die Route

    Und so sah die Strecke schließlich aus:

    Datum Uhrzeit UTC Von/In Nach Distanz Dauer
    16.4. 09:10 HAM (53°37'49"N 9°59'18"E) MUC  600 km 01:20 Flug
    16.4. 10:30 MUC (48°21'14"N 11°47'10"E) 03:10 Aufenthalt
    16.4. 13:40 MUC YUL  6169 km 08:15 Flug
    16.4. 21:55 YUL (45°28'14"N 73°44'27"W) 14:35 Aufenthalt
    17.4. 12:30 YUL LAX  3981 km 05:45 Flug
    17.4. 18:15 LAX (33°56'33"N 118°24'26"W) 11:20 Aufenthalt
    18.4. 05:35 LAX SYD  12051 km 14:55 Flug
    18.4. 20:30 SYD (33°56'46"S 151°10'38"E) 33:00 Aufenthalt
    20.4. 05:30 SYD SIN  6288 km 08:00 Flug
    20.4. 13:30 SIN (1°21'01"N 103°59'40"E) 25:55 Aufenthalt
    21.4. 15:25 SIN FRA  10285 km 12:15 Flug
    22.4. 03:40 FRA (50°01'35"N 8°32'35"E) 02:05 Aufenthalt
    22.4. 05:45 FRA HAM  413 km 01:00 Flug
    22.4. 06:45 HAM Daheim 8 km 00:54 Fahrt
    22.4. 07:39 Daheim (53°33'38''N  9°57'31''E)
    Total 39794 km 5d 22:29

    Eine weitere schöne Ansicht, die die Mühseligkeit und im Kern Sinnlosigkeit der Tour auch optisch greifbar macht:


    Abbildungen und Tabelle: www.gcmap.com


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